Überstellungsfristen nach Dublin II Verfahren: Wie wirken Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf den Lauf Überstellungsfrist?
By : Rechtsanwalt Denis König | Category : Asylrecht, Ausländerrecht, Verwaltungsrecht | No Comments
22nd Jan 2014
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann einen Asylantrag als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Die Überstellung in den Mitgliedsstaat muss innerhalb einer sechsmonatigen Frist erfolgen. Diese Frist beginnt nicht erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesamtes zu laufen, sondern entweder mit der Wiederaufnahmezusage des angerufenen Mitgliedsstaates oder mit der Entscheidung einen aufschiebende Wirkung entfaltenden Rechtsbehelf (Art. 20 Dublin-II-VO bzw. Art. 29 der Dublin-III-VO).
Das Bundesamt erlässt einen Bescheid, mit dem der Asylantrag als unzulässig abgelehnt wird und die Abschiebung in den Mitgliedsstaat angeordnet wird. Die Klage gegen diesen Bescheid muss innerhalb von zwei Wochen erhoben werden. Die Klage allein hat keine aufschiebende Wirkung, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss beantragt werden. In seiner aktuellen Fassung stellt der § 34 a Abs. 2 AsylVfG klar, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausdrücklich zulässig ist und der Asylsuchende vor der Entscheidung über den Antrag nicht abgeschoben werden darf, wenn der Antrag innerhalb einer Woche nach der Bekanntgabe gestellt wird.
In seiner Petrosian-Entscheidung (C-19/08) hat der EuGH eigentlich klar gestellt, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist ab der Entscheidung des Gerichts über einen aufschiebende Wirkung entfaltenden Rechtsbehelf gegen die Mitteilung des ersuchenden Mitgliedsstaates über seine Wiederaufnahme durch den zuständigen Mitgliedsstaat zu laufen beginnt. Eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Bundesamtes hat keine aufschiebende Wirkung, diese gibt es nur in bestimmten Fällen, § 75 AsylVfG. Daher wird ein Eilrechtsschutzantrag gestellt, um in den Genuss der aufschiebenden Wirkung zu kommen. Unsere Verwaltungsgericht müssen sich somit mit der Frage beschäftigen, welche Entscheidung gemeint ist: über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO oder die Klage selbst, in der die Rechtmäßigkeit der Abschiebung geprüft wird. Die Antwort auf diese Frage ist von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn die mit der Wiederaufnahmezusage gestartete Überstellungsfrist vor der Entscheidung des Gerichts endet.
Es kommt vor, dass das Bundesamt den Ablehnungsbescheid nur wenige Wochen vor dem Ablauf der Überstellungsfrist erlässt. Ein solcher Bescheid kann allein deswegen rechtswidrig sein, weil die Ausländerbehörden, die für die Abschiebung zuständig sind, angewiesen sind, mindestens eine Woche nach der Bekanntgabe des Bescheids zu warten (wegen § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG), auch müssen sie die Abschiebung koordinieren und diese so terminieren, dass der Asylsuchende eine Woche vor dem Überstellungstermin davon Kenntnis hat. Ist eine amtsärztliche Untersuchung notwendig, so kann sich die Überstellung noch mehr verzögern.
Das VG Göttingen hat am 29.11.2013 – 2 B 887/13 entschieden, obwohl es danach nicht gefragt war, dass der § 34 a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ein gesetzliches Vollstreckungshindernis sei. Während das gerichtliche Verfahren über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 AsylVfG läuft, kann die Überstellung nicht erfolgen, die Überstellungsfrist wird gehemmt. Das bedeutet, dass eine ablehnende Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entweder das Ende der Überstellungsfrist verschiebt bzw. die Frist mit der Entscheidung vom Neuen beginnen lässt:
„Sinn und Zweck der Überstellungsfrist lassen daher nur den Schluss zu, von einem erneuten Lauf der 6-Monats-Frist in allen Fällen auszugehen, in denen entweder aufgrund gerichtlicher Anordnung im Einzelfall (gem. § 80 Abs. 5 VwGO) oder aber von Gesetzes wegen (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG n.F.) ein Vollstreckungshindernis bestand, dass den ersuchenden Mitgliedsstaat vorübergehend daran gehindert hat, die Überstellung des betroffenen Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedsstaat zu organisieren und durchzuführen.“
Daraus folgt, dass die bloße Einlegung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34 a Abs. 2 AsylVfG zum Neubeginn der Überstellungsfrist ab der Entscheidung führt. Unter Bezugnahme auf die Göttinger Entscheidung hat das VG Regensburg am 13.12.2013 – RO 9 S 13.30618 entschieden, dass die Überstellungsfrist auch dann von Neuem zu laufen beginnt, wenn das Bundesamt einen Bescheid nur eine Woche vor dem Ende der Überstellungsfrist erlässt. Dass dieser Bescheid rechtswidrig ist, weil die Überstellung vor dem Ende der Überstellungsfrist rein technisch nicht möglich war, scheint das Gericht nicht zu interessieren. Damit haben beide Verwaltungsgerichte dem Bundesamt die Möglichkeit gegeben, kurz vor dem Ende der Überstellungsfrist rechtswidrig Bescheide zu erlassen, die durch den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a AsylVfG rechtmäßig werden.
Das VG Oldenburg teilt diese Auffassung nicht und folgt dem ausdrücklichen Wortlaut der EuGH-Entscheidung. Als Rechtsbehelf ist nicht der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemeint, sondern das Klageverfahren selbst (VG Oldenburg Beschluss vom 07.01.2014 – 3 B 7136/13; VG Oldenburg Urteil vom 13. Dezember 2013 – 3 A 5875/13). Die Oldenburger Richter lehnen die Auffassung, dass bereits die bloße Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Hemmung und Neubeginn der Überstellungsfrist führe, ab. Sie stützen sich dabei nicht nur auf die EuGH-Entscheidung und den Wortlaut der Dublin-Verordnung, sondern auch auf die Entscheidung des Nds. OVG vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12, auf die sich interessanterweise auch die Göttinger Richter beziehen.
Der Auffassung des VG Oldenburg ist zu folgen. Denn so wird dem Bundesamt die Möglichkeit genommen, einen Bescheid kurz vor dem Ablauf der Überstellungsfrist zu erlassen, obwohl die Überstellung vor dem Ablauf gar nicht möglich ist. Das Gericht hat sich somit auch verpflichtet, schnell über die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 AsylVfG zu entscheiden. Andererseits hat diese Entscheidung auch einen faden Beigeschmack: Das Gericht hat sich den Weg eröffnet, mit der Entscheidung über die Klage viel Zeit zu lassen, wenn es die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat. Dies ist europarechtlich problematisch, denn die Dublin-Verordnungen haben gerade den Zweck, dass Asylsuchende nicht durch überlange Verfahren über ihren Asylantrag benachteiligt werden.